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Professor Amendt, in Ihren Büchern und Essays beklagen Sie eine allgegenwärtige Entwertung der Männlichkeit. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung jedoch sitzen Männer an den Hebeln der Macht.

Macht wird ja gerade in modernen Gesellschaften nicht nur ökonomisch ausgeübt, sondern jenseits der Familie immer mehr im Bildungs- und Erziehungsbereich. Und wer dominiert die Bildung?

Wer?

Mehrheitlich die Frauen. Nehmen Sie die Kindergärten, die Jugendarbeit, die Schulen, Kinder- und Jugendforschung, ja, sogar die psychotherapeutischen Berufe et cetera. Frauen dominieren die Bildungswelten, sie geben den Stil vor, wie miteinander umgegangen werden soll, wie gearbeitet wird, wie Konflikte vermieden, wie gelöst oder wie Menschen kalt gestellt werden.

Und mittendrin der Mann als personalisierter Konfliktherd, wehrlos, vor allem der ältere?

Die Männer-Generation der heute über 50-Jährigen hat oft besiegte oder gar keine Väter gehabt, weil sie aus dem Krieg nicht zurückgekehrt sind. Und freilich konnten die Mütter die Väter nicht ersetzen. Viele waren verwitwet. Das Schweigen der Überlebenden hat den familiären Alltag geprägt. Dann kam mit 1968 die ganz große Vorwurfshaltung gegenüber den Vätern. Die Rolle der Mütter im Nationalsozialismus stand hingegen bis in die 90er Jahre nicht zur Debatte. Das beginnt jetzt erst und leitet die Auflösung vom Mythos der friedfertigen Frauen ein.

Bleiben wir bei den Männern.

Aber Sie können über Männer nicht reden, wenn Sie nicht gleichzeitig über Frauen reden. Die gehören nun einmal zusammen. Deshalb ist gerade auch die feministische Debatte über Männer und Väter noch immer die Fortsetzung der 68er-Debatte über die damalige Vätergeneration: Angeblich haben sie alles falsch gemacht, und deshalb seien sie auch allein an allem Schuld. Man muss sich allmählich darüber klar werden, dass die Unterstellung, allein von Männern gehe Gewalt aus, dem grandiosen Zweck dient, Frauen davon freizusprechen, dass sie im Dritten Reich etwas mit Gewalt, mit Antisemitismus, mit Unterdrückung und Holocaust zu tun hatten oder einfach System tragende Mitläufer gewesen seien. Die heute noch wirksame Idealisierung der deutschen Frau als Mutter ist die Plombe, mit der die Teilhabe der Frauen am Nationalsozialismus wie ein böser Geist in der Flasche gehalten wird.

Die Titelgeschichte....

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... des aktuellen stern beschäftigt sich eingehend mit dem Selbstverständnis von Männern um die 50. Lesen Sie dort, was Vertreter dieser Gruppe umtreibt, was sie besorgt, was sie sich wünschen - und wie ihr Lebensgefühl zusammengefasst werden kann.

Das klingt nach Opferrolle. Wenn es so ist, warum bilden gerade die im Leben stehenden "Best ager" eine starke aber schweigende Minderheit?

Diese Männer-Generation hat sehr viel gesehen, gehört, sehr viel mitbekommen und noch mehr einfühlsam geahnt, aber wenig an elterlicher Offenheit erfahren. Sie hat einen hölzernen Diskurs über sich ergehen lassen. Und parallel zum Schweigen verlief die aktiv betriebene Erosion der Männlichkeit. Durch beschämtes Schweigen haben die Männer das selber mitgetragen. Wenn man keine gute Väter-Tradition hat oder sogar meint, keine haben zu dürfen, dann ist es sehr schwer, ein Mann zu sein. Dann ist man nicht nur emotional vaterlos, sondern man kann seinen Söhnen wiederum kein einfühlsamer Vater sein. Männern, auch jüngeren, ist heute vielfach nicht mehr klar, was von der Männlichkeit wert ist, weiter gegeben zu werden - nicht nur an die Söhne sondern genauso so sehr an die Töchter.

Was angesichts der deutschen Geschichte ja kein Wunder ist.

Männer sollten sich daher offensiver über ihre Väter und Großväter informieren und sich fragen: Was habe ich eigentlich für Erinnerungen? Ist es allein die Erinnerung, dass die meisten Nazis und Mitläufer oder Mitwirkende waren? Aber diese politische Existenz ist nicht identisch mit Väterlichkeit. Wenn sich die Männer mit der Erinnerung auseinander setzen, werden sie feststellen, dass der Großteil der Väter eben ambivalent war, dass sie auch gute Seiten hatten. Männer müssen einen emotionalen Bezug zu ihrer Kindheit, zu ihrem Erinnern herstellen. Und sie müssen, das gilt auch für die jüngeren Generationen, ein eigenes Bild ihrer Väter entwickeln. Denn es gibt ja durchaus problematische Bezüge zwischen den Generationen.

Zur Person

Gerhard Amendt ist Professor am Institut für Geschlechter- und Generationenforschung der Universität Bremen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Väterforschung.

Worauf spielen Sie an?

Nun, dem Sohn wie der Tochter der allein erziehenden Mutter fehlt der Vater im Leben. Wo ist er geblieben, der vor allem den Sohn entlastet, der ihm allein durch seine Anwesenheit signalisiert: Ich bin da, du kannst Kind bleiben. Denn Söhne von Alleinerziehenden merken schmerzlich, dass zur Bewältigung des Lebensalltags ihnen etwas fehlt. Und zwar weil der Mutter der Vater der Kinder fehlt. Die Söhne werden deshalb wider Willen zur mütterlichen Vertrauten. Sie werden mit ihren überfordernden Sehnsüchten und Enttäuschungen konfrontiert. Sie helfen, obwohl sie die Falschen sind. Besonders Söhne von Alleinerziehenden sind deshalb emotional eher unreif gleichzeitig aber leistungsbetont. Sie stehen der Mutter zur Seite, wo der Vater stehen sollte. Wenn sie groß sind, sind sie dann von der zwanghaften Phantasie besessen, dass sie Frauen trösten müssen. Ihr Dominanzverhalten in der Partnerschaft ist deshalb zwar fürsorglich, aber es lässt eben keine Gegenrede zu! Das ist gerade kein Zeichen von Macht, sondern von Ohnmacht. Sie haben nämlich keine selbstbewusste Männlichkeit entwickelt, mit der sie ihre eigenen Interessen ganz selbstverständlich verfolgen können.

Warum beginnen Männer verstärkt, mit Ende 40 zurück zu blicken?

Weil für Männer in diesem Alter die eigene Lebensgeschichte bereits so umfangreich ist, dass man nicht mehr in Spontaneität weiter leben kann. Man beginnt zu strukturieren, sein Leben zusammen zu fassen, zu bilanzieren. Das sollten Männer jedoch in kritischer Distanz zu den Interpretationen tun, die ihnen angeboten werden.

Das heißt?

Männer sollten ihr eigenes Vaterbild entstehen lassen, und nicht eines übernehmen, das ihnen die Mütter nahe legen. Nur dann entwickeln sie auch eine selbstgewisse Männlichkeit, deren Herzstück nicht der berufliche Erfolg allein ist. Das ist nicht leicht, zumal Männer, da wir noch immer in den klassischen Strukturen leben, nicht aus der Zukunftssicherung für die Familie entlassen werden. Windeln regelmäßig zu wechseln, heißt noch lange nicht, dem Zwang zur familiären Existenzsicherung enthoben zu sein. Und zwar sowohl durch die Partnerin als auch die Gesellschaft. Daran ändert auch eine gegenläufige Rhetorik nichts. Für Frauen ist Mütterlichkeit hingegen identitätsstiftend. Dass sie Kinder geboren und aufgezogen hat, verleiht ihr nicht nur Sinn sondern auch gesellschaftliche Anerkennung, anders als dem Mann, der sie gezeugt hat.

Ironischerweise werden so genannte allein erziehende Mütter heute so gesehen wie nach 1945 die Witwen. Voller Mitleid, aber mit einem gewaltigen Unterschied: viel besser versorgt als die Witwen damals und nicht als Folge eines Krieges, sondern eines selbst gewählten Schicksals - eben der Scheidung. Die Witwen damals kämpften, ihre Nachfolgerinnen heute neigen zum Lamentieren.

Interview: Michael Stoessinger