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SPIEGEL ONLINE: Herr Bergmann, warum stecken die Jungen in der Krise?

Wolfgang Bergmann: Das bestreite ich vehement.

SPIEGEL ONLINE: Aber die schulischen Leistungen legen das doch nahe: Jungen haben schlechtere Noten und brechen häufiger die Schule ab als Mädchen.

Bergmann: Da sehen Sie mal, wie verengt unser Blickfeld ist. Man kann aber Lebenserfolg glücklicherweise nicht nur an Schulnoten messen. Sonst hätten Sie in der Tat Recht.

SPIEGEL ONLINE: Dann ist also alles in Ordnung?

Bergmann: Überhaupt nicht. In Sachen Erziehung und Schule läuft es für die Jungen zurzeit wirklich schlecht. Hier hat sich eine Wohlfühl-Kuschel-Pädagogik eingeschlichen, die den kleinen Jungs gewaltig auf die Nerven geht.

SPIEGEL ONLINE: Weil in Kindergärten und Grundschule fast nur Frauen arbeiten?

Bergmann: Das hat sicher damit zu tun. Es geht aber mehr um diese generelle Antigewalt-, Antikörperlichkeit-, Antimännlichkeitserziehung. Auch die männlichen Pädagogen haben ja dieses seltsame Umhüllungs- und Friedensideal soweit übernommen, dass es schnurz ist, ob ein Mann oder eine Frau verantwortlich ist. Wenn heute im Kindergarten beim Ballspielen eine Fensterscheibe zu Bruch geht, wird doch sofort der Morgenkreis einberufen. Jungen haben heute kaum noch die Fähigkeit, sich selbst in ihrer Körperlichkeit, in ihrer männlichen Durchsetzungsfähigkeit kennenzulernen. Sie werden mit Teilen ihrer Männlichkeit überhaupt nicht mehr bekannt.

SPIEGEL ONLINE: Welche männlichen Eigenschaften oder Verhaltensweisen meinen Sie?

Bergmann: Es geht um die einfachsten Dinge: Wenn zwei Jungs im Kindergarten raufen, um die Hierarchie untereinander festzulegen, dann hat ein Pädagoge da nichts zu suchen. Jungs machen ihre Sozialisierungs-Erfahrungen anders. Übrigens: Wenn heute in Sachen Jugendgewalt bei Schlägereien noch hemmungslos zugetreten wird, wenn der andere schon am Boden liegt, hat das zum Teil auch damit zu tun, dass die Jungs gar nicht mehr wissen, was sie dem Gegenüber damit antun. Es fehlt ihnen an der eigenen körperlichen Erfahrung. Wenn ich hyperaktive Kinder oder jugendliche Computersüchtige habe, schicke ich sie reihenweise zu den Pfadfindern, weil dort noch das Erleben von Körperlichkeit möglich ist. Ich kann mich doch nur mit nach außen gewendeten Aktionen selbst als Körper erfahren. Erst dadurch entwickeln Jungs eine eigene Empfindsamkeit, die sie brauchen, um sich in den anderen hinein zu versetzen.

SPIEGEL ONLINE: Sollen etwa Eltern, Erzieher, Lehrer aggressive Jungs einfach prügeln lassen?

Bergmann: So lange es ungefährlich ist, unbedingt. Das ist Erlernen von sozialen Verhaltensweisen. Jungs sind schon im zarten Alter von zwei bis vier Jahren völlig anders als Mädchen. Sie müssen ihre Erfahrungen mit dem Raum um sie herum auch mit männlicher Wucht machen können. Wenn das blockiert wird, wird die kognitive und soziale Entwicklung eines Jungen gehemmt. Gleichzeitig werden sie dann eingehüllt in diese weibliche harmonische Lebenswelt, die ihnen unendlich auf den Keks geht. Im Grunde ist es ein Wunder, dass es noch so viele seelisch gesunde Jungen gibt.

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